Konsequenzen des englischen Brexit

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Eine erste Bilanz der Konsequenzen des Brexit kommt zu folgenden Ergebnissen:

1. Der Brexit spielt sozusagen am lebenden Objekt einmal durch, was es bedeutet, wenn in einer zentralen europäischen Frage eine grundlegend andere Alternative praktiziert wird. Bisher konnten solche Fragen nur theoretisch erörtert werden, nach dem Motto »was wäre,
wenn.«

– Griechenland aus dem Euro ausscheiden würde
– Österreich oder die Niederlande oder gar Frankreich aus der EU austreten würden
– Draghi eine andere Geldpolitik machen würde.

Schon jetzt, nach nur wenigen Wochen, wird deutlich, dass eine solche grundlegende »Schubumkehr« der Politik in einer zentralen europäischen Frage immense, um nicht zu sagen brutale Auswirkungen nach sich zieht. Solche Dinge müssen – wenn wirklich notwendig – außerordentlich gut vorbereitet und sorgfältig geplant werden.
Und noch eines wird deutlich: wenn es ernst wird, machen sich die Populisten vom Acker und überlassen es den sog. Alt- oder Systemparteien, die eingebrockte Suppe auszulöffeln.

2. In den Medien und in den öffentlichen Diskussionen wurden meist nur die schwierigen und problematischen EU-Aspekte wie Bürokratiemonster, Nettobeitrag, teure EURORettung erörtert. Erst bei einem Austritt wird sichtbar, welche großen Vorteile – z.B. Erasmus, wissenschaftliche Zusammenarbeit, London als englischer Türöffner zum europäischen Binnenmarkt – beim Verlassen der EU-Familie plötzlich verloren gehen.

3. Die anstehenden Scheidungsverhandlungen mit England werden zeigen, dass der von allen gewünschte Freihandel heute durch eine einfache Öffnung der Grenzen nicht mehr funktioniert. Wenn früher durch eine bloße Abschaffung der Zölle eine Grenzöffnung für Waren und Dienstleistungen möglich war, sind es heute hunderte ja wahrscheinlich tausende von denkbaren nationalen nichttarifären Barrieren, die einen freien Handel faktisch unmöglich machen. Hinzu kommen viele ausdenkbare Hürden bei der Berufsausbildung, bei der grenzüberschreitenden Verwendung von Kapital für Investitionen beim Handwerk und im Bankenwesen. Hinzu kommen Wettbewerbsverzerrungen durch nationale Regelungen im Umweltschutz, Verbraucherschutz und im Steuer- und Abgabenrecht für »Ausländer«. Ein offener Freihandel oder gar ein Binnenmarkt ist heute ohne eine Vielzahl gemeinsamer Regelungen nicht mehr möglich. Zwischen der EU und England müsste ein Freihandelsabkommen nach dem »Vorbild« TTIP ausgehandelt werden oder England begnügt sich mit der Rolle Norwegens: Alle EU-Regeln werden übernommen, ohne an ihrem Zustandkommen beteiligt zu sein.

4. Das negative Bürokratieimage der EU wird auch dadurch bewirkt, dass die EU häufig bei notwendigen technischen Harmonisierungen auch gleich Umwelt- und Verbraucherschutzaspekte mit berücksichtigt hat. Man hat aus diesem Grund viele Produkte nicht nur harmonisiert sondern gleich auch »verbessert«. Dies gilt etwa für die in England besonders diskutierten Regelungen für Staubsauger und Glühbirnen. Eine klare, auch argumentative Trennung beider Zielrichtungen hätte hier mehr Verständnis erhalten.

5. Gemeinsame europäische Regelungen müssen sich logischerweise am europäischen
Gemeinwohl ausrichten. Dass solche EU-weiten Kompromisse dann selten oder nie dem
Empfinden und Denken einer einzelnen Nation entsprechen, liegt auf der Hand. Es wird aber immer wieder mit großer Entrüstung als unverständlich dargestellt nach dem Motto »wie kann Europa so etwas beschließen, was wir doch in Deutschland (oder Österreich, oder Frankreich oder Polen) als völlig falsch empfinden«.

Fazit: Die Welt des 21.Jahrhunderts ist kompliziert ob uns das gefällt oder nicht. Wenn man alle Aspekte des Brexits berücksichtigt, wäre es für alle Beteiligten das Beste wenn er gar nicht umgesetzt werden würde. Schließlich hat auch das Volk ein Recht auf Irrtum.

Kontakt
Dr. Ingo Friedrich
Europabüro:
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